Du unglücklich? – Du krank!
Man kann es ein politisches Tabu der Rigiditätsstufe 1 nennen.
Wenn die Leute massenhaft chronisch deprimiert, ängstlich und überfordert sind, haben wir eine Gesellschaft, die Massen von Menschen eine Kindheit, ein Alltagsleben und Zukunftsaussichten bietet, die deprimieren, verängstigen und überfordern.
Warum ist es ein Tabu?
Raten Sie mal, was sich ändern muß! Vor allem: wer?
„Die Gesellschaft!“ klingt anonym. Und sind wir das nicht alle miteinander? Alle miteinander also schuld an unserer Misere! Niemand haftbarer als irgendein anderer, das heißt, keiner ist haftbar, keiner braucht ein schlechtes Gewissen kriegen, keiner braucht was ändern. Wie sollte er auch, was sollte er denn ausrichten, einer unter Millionen!
Raten Sie noch einmal!
Jetzt müßten Sie bei der Politik sein. Ja, die Politik! Immer kritisieren alle die Politik! Aber die Politiker tun auch nur, was sie können! Was möglich ist. Was die ökonomischen und sozialen und kulturellen Bedingungen erlauben. Die weltweiten, die sie genauso wenig beeinflussen können, wie der einzelne die Gesellschaft in seinem Land.
Der globale Markt hat seine Eigengesetzlichkeiten, denen kann sich niemand entziehen, damit muß man leben. Und er selber ist alternativlos! Alles Nichtglobale und nicht Marktfreie funktioniert noch schlechter als der globale freie Markt. Wer Wohlstand will, hat keine Wahl!
Denken Sie schon, „Wer’s glaubt, wird auch nicht selig!“ angesichts des Umstandes, daß die Mehrheit der Leute es glaubt?
Wollen Sie nicht zugeben, daß wir die Wahl haben zwischen Wohlstand samt Depressionen, Phobien, Panikattacken, Eßstörungen und Abhängigkeiten aller Art oder Armut und Not?
Leben Sie in einer Traumwelt, in der man die Selbstverwirklichung des Kapitals der des Menschen unterordnen könnte?
Wo das seelische Wachstum der Menschen das Kriterium für eine gute Ordnung ist statt das Wachstum der Wirtschaft?
Ach ja, die Hippies und die marxistischen Studenten der Jugendrevolution damals haben das auch schon geglaubt! – Aber fragen Sie sie jetzt, was sie davon halten!
Die Sache mit der humanistischen Revolution ist gegessen. Die Revolutionäre sind Pragmatiker geworden und belächeln ihren jugendlichen Idealismus.
Außerdem haben wir Antidepressiva und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie wird flächendeckend von der Krankenkasse getragen.
Auf jeden Fall geben Sie nicht der Politik die Schuld an den psychischen Kosten der globalen Marktwirtschaft!
Sonst wären die Politiker die Schuldigen und die politischen Parteien mit dem ganzen institutionellen Ambiente der politischen Klasse.
Kurz und lapidar: ein politischer Umsturz radikaler Art wäre das Gebot der Stunde der letzten Jahrzehnte des wachsenden Unglücks gewesen und würde täglich dringender zu erhoffen, zu bewerkstelligen, zu fordern und zu betreiben.
Aber das ist gottseidank verboten.
Der Vernünftige sagt daher: „Bist du unglücklich? – Dann geh‘ zum Arzt, damit du wieder gesund wirst!“