Aufbauwissen EinsPsy Stufe 1
Finalität als anthropogenes Prinzip
Die Kausalitätsannahme für die Phänomenologie des Psychischen geht zuallererst davon aus, die Auswirkungen des jeweils Vergangenen, des Vorigen, des daher Bekannten müssen bloß hermeneutisch im Jetzt für das Heute und das Morgen organisiert werden (intellektuell wie praktisch).
Zweitens setzt sie voraus, daß der hermeneutische Spielraum durch die Auswirkungen des Vergangenen eingeschränkt ist, sodaß eine Ursache mit ihrer Auswirkung im Normalfall eine bestimmte Konsequenz im Erleben und Verhalten mit Nachdruck bedingt und andere denkbare Konsequenzen mit ebensolchem Nachdruck als nichteintretende bedingt, am Eintreten behindert.
Beide Annahmen treffen nicht zu.
Finalität steht im Meta-Verhältnis zu Kausalität.
Jedes Ereignis, vermittelt über Erfahrungen und repräsentierbar als Erinnerung, ist komponiert aus unzähligen existentiell bedeutsamen Anwandlungen für jeden und mit unzähligen spezifischen für den individuellen Beobachter mit eigenen Augen und am eigenen Leib.
Die aktuell primär favorisierte Hierarchie der Deutungsfrequenzen, Deutungstendenzen und Deutungsgewichtungen ist eine Kette ununterbrocher vorbewußt getroffener Entscheidungen, jede einzelne davon in freier Willkür und Willigkeit.
Wenn jemand einem schon im Bewußtsein seiner Kultur existierenden und vielleicht auch konventionell favorisierten Deutungsinventar die Ehre gibt, hat er sich zugleich dafür entschieden und gegen eines in der eigenen Werkstatt hergestelltes.
Er begnügt sich mit der Erhaltung des Bestehenden, er hat kein stärkeres Motiv als jenes.
Im Kontrast dazu verwirft der autonom operierende Intellekt das Bekannte zugunsten des Strebens nach dem Neuen.
Der selbst beurteilende, selbst bewertende, selbst untersuchende Beobachter, der so eine selbstautorisierte Deutung einer Erfahrung herstellt, muß sich für einen noch nicht bekannten, noch nicht (in seinem Wissensuniversum) existenten Gebrauch der unbegrenzten Brauchbarkeit der eben unbegrenzt verschiedenen Beobachtungsdaten entscheiden, er muß eine neue Perspektive einnehmen und anwenden bis hin zu einer neuen Sicht.
Gelingt das nicht, bleibt ihm nur der Rückgriff auf eine aus dem Repertoire der schon bekannten Sichten.
Oder die Deutungsaskese, die man nur beschränkt pflegen kann, wenn man sie nicht gezielt yogisch trainiert hat, weshalb sie kein Ungeschulter in nennenswertem Ausmaß verwendet. (1)
Die allgemeine Beobachtung zeigt, daß bei 99 Prozent aller täglich, stündlich und minütlich zu treffenden Entscheidungen die Bandbreite der konventionellen Deutungen nicht überschritten wird.
Nur 1 Prozent aller Entscheidungen kommen aus der Präferenz für das Erforschen, Untersuchen, Entdecken und Erkennen des unkartographierten Territoriums der sich erst in der Betrachtung offenbarenden Möglichkeiten von Deutung und Bedeutung.
Es sind diese, welche die persönliche wie die kollektive Kulturentwicklung bedeuten und zeitigen.
Das riskante Neue vor dem Hintergrund des gesicherten Alten zu erforschen, machte und macht den Menschen zum Menschen und katapultierte ihn zum Stadium des Homo Sapiens, der freien Vorstellungsfähigkeit.
Das gesicherte Alte zu bewahren vor dem Hintergrund des Hineinriechens in riskantere evolutionäre Gefilde, ist die Strategie der Intelligenz des Schimpansen, Gorillas und Orang Utans.
Weil wir Finalität als unser Meta-Prinzip haben, steuern wir supervisorisch kontrollierend einander im Ganzen, von der Sippe bis zu den kooperierenden Nationen, unter Austarierung der Hingabe an das Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Verfolgung der Enteckerabenteuer.
Die nicht behindert werden darf sondern optimal unterstützt werden soll, um die prokreative Selbstbehauptung als Ordnung erschaffende Schöpfer von Kultur zur immer exquisiteren Spitze zu bringen.
Die Position und Funktion der Hemmung des Erkenntnisforschritts ist primär unmoralisch nach einer Ethik des besten Wissens und Gewissens, nicht umsonst wird die Kausalitätszuschreibung der Situation für das eigene Handeln im Rahmen des Versuchs, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, als Ausrede auf Gott und die Welt gebraucht.
Wegen der Ehrlosigkeit der schlechten Ausrede wird manch einer zum Zeloten und Missionar, wenn nicht zum Inquisitionsbeamten.
_______________________________
1 Die gezielte Ausblendung des auf seine Bedeutung hin nicht Entschiedenen bedarf der Übung der Borniertheit mit Disziplin und Konsequenz, wenn gleich diese yogische Kunst offiziell keine gute Nachrede hat, ist sie allgemein die am meisten verbreitete Praxis. Zudem wird sie nach einer falschen Technik betrieben, nämlich der phobischen Motivation entspringend und sie befriedigend statt der herausfordernden Übung in der nüchternen Gelassenheit.
_______________________________
Didaktische Option:
Wenn Sie die Erläuterung zum Lesen dazu auch hören wollen, wie vernünftig sie sich anhört und wie plausibel sie klingt, um den Gehalt vollständiger auf seinen Erklärungswert hin zu prüfen und gegebenenfalls als Wissenselement in der eigenen Forschung zu validieren, finden Sie hier zwei dafür gedachte Audio-Beiträge:
Trvnicek liest Schurl die Seite „Finalität als anthropogenes Prinzip“ vor: