Über die Befindlichkeit

 

1

 
Im Ehrgeiz
der meiner Ehre dient
bin ich beschäftigt
meine Ehre zu pflegen
 
während ich mir einbilde
ganz allein auf die Sache zu achten
 
im Ehrgeiz
der dem Geschehen dient
verzögere ich das Fortschreiten nicht
durch das Abziehen der Aufmerksamkeit
auf die gleichzeitige Ehrenpflege
im Reputationsmanagement
 
das nennt man beschönigend Selbstwertpflege
dann adelt es sich fast zur Tugend
jedenfalls zum menschlichen Normalfall
 
die Reputation zu verteidigen und zu behaupten
ist es
was man trainiert
auf der Kommentarspur
 
das setzt voraus
daß sich das Training auszahlt
was wieder die Idee braucht
unvorbereitet ertrüge man es nicht
machte man einen schlechten Eindruck

 

2
 
Nichts ist gemindert
werde ich mißachtet
nichts ist degradiert
werde ich verachtet
 
nichts ist vermehrt
werde ich beachtet
nichts ist erhöht
werde ich hochgeachtet
 
nur die Idee der Leute
was sie sich auf mich
für einen Reim machen sollen
hat eine ihnen passende Form erhalten
 
Bin ich zuständig für die Poesie
die mein Nachbar in sein Tagebuch schreibt?
 
Ist er etwa mein Biograf
der meine Kinder zu Paria macht
weil sie so eines Vaters sind?
 
Haben sie’s ihrer gemäßer im Leben
wenn man sie für ihren Vater ehrt?

 

3
 
Alles ist erreicht
wenn das Auge den Linien der Welt folgt
und ihr so die gebührende Ehre erweist
 
nichts bleibt unerreicht
reicht die Aufmerksamkeit dorthin
wo die Weichen sich stellen
 
die Aufmerksamkeit ist ein Strahl des Wesens
 
Wenn schon steter Tropfen den Stein höhlt
wieviel mehr durchdringt ein gebündelter Kraftstrom
der über Tagtausende und Stundzehntausende
die Oberflächen Schicht um Schicht attackiert?
 
Das kalkhältige Höhlenwasser
baut Säulenhallenkathedralen
tropfenweise im Zeilupentempo
aber zuletzt wie ein Meisterwerk
 
Wieviel schöner und schneller
das Wasser von der Höhe des Geistes
strömend, stürzend, schwallend
 
findet es einen Willen
der es in die Kanäle der Strukturen leitet

 

4
 
Die Nüchternheit
ist eine andere Welt
innerhalb der gewöhnlichen
 
eine Dimension im Raum
in der die Zeit nicht gilt
nur die Dinge und das Tun
und der Akteur nur existiert
als Instanz der Aktivität
 
Die Option
zum Selbstbeobachter
und Selbstordner
nur Option
 
Weder Zwang noch Manie
weder Rebellion noch Coaching
 
die Sinne auf die Sache orientiert
die Sinne auf die Welt gerichtet
 
ergibt sich
was sich ergeben muß
aus der Logik der Dinge

 

5
 
Ein Befindlicher findet sich irgendwo
einmal da einmal dort
 
nicht ich bin so
und nicht anders
sondern bei mir illustriert sich
dieses nicht jenes
 
nicht ich hab‘ das Glück
sondern diese Art Glück
ist zum Beispiel
bei mir der Fall
 
nicht ich hab‘ das Unglück
auf dem Hals
sondern mein Hals
ist einer der Hälse
die so eine Konstellation
auf sich haben
 
Jeder ist nur ein in bestimmten
von allen möglichen Umständen
Befindlicher

 

6
 
Wo auch immer ich mich finde
ist ohne Ursächlichkeit für mein Befinden
(solange der Körper das Seine hat)
 
die Umstände sind keine Wirkfaktoren
für den Geist
sondern Gelegenheiten
sich zu betätigen
 
welche der unzähligen
er für welche Betätigung heranzieht
sucht er sich selber aus
 
er tut
was er möchte
und benutzt dafür
was sich bietet
 
nie war es anders
nie wird es anders
nichts erspart ihm seine Qual der Wahl
seine Lust der Wahl
macht ihm auch nichts streitig

 

7
 
Die Wahl ist der Gral
 
die Qual, die Lust,
die Enttäuschung, die Ernüchterung,
die Rebellion oder die Resignation:
die nächste Serie
beginnt mit der nächsten Wahl der Qual
 
Ist der Gral die Wahl
wird es ein heiliger Weg
durch 7 mal 7 Höllen
und 7 mal 7 Himmel
 
bis man das Interesse
an beiden Orten
verloren hat
 
dann hat der Gral kein Mysterium
und das Mysterium hat keinen Gral
 
Alles ist da und wartet
wer hinschaut
dem zeigt es sich

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