Wann ist Psychotherapie erfolgreich?

Dumme Frage! Wenn es dem Klienten besser geht.

Schon, aber dann ist die nächste Frage, woran ist das festzustellen – und von wem?

In Frage kommen drei Instanzen, der Klient selber, die Menschen, die ihn gut kennen und der Psychotherapeut.

Und schon wird es kompliziert. Wir kennen alle die Situation, wo man merkt, daß jemand, den man einige Zeit nicht gesehen hat, viel besser drauf ist, wie man sagt, gesünder ausschaut und fröhlicher oder gelassener wirkt als früher. Darauf angesprochen zeigt sich derjenige aber oft überrascht und bestreitet, daß irgendetwas anders oder besser geworden ist. Das Gegenteil kommt genauso oft vor,

O je, geht’s dir nicht gut?

Was? Nein, warum? Wie kommst du drauf?

Na ja, du schaust irgendwie bedrückt drein, sorgenvoll, könnte man sagen.

Keine Ahnung, mir geht’s eigentlich gut. Nicht, daß ich wüßte. Das bildest du dir nur ein.

Die Erfahrung zeigt, der Betroffene ist oft der letzte, der merkt, daß es ihm besser oder schlechter geht. Seltsam, aber nicht zu leugnen. Wenn man vertraut genug ist mit ihm, hakt man nach und, je nachdem stellt sich dann doch heraus, daß man richtig gesehen hat. Der andere hat tatsächlich Sorgen, die er bloß nicht wahrhaben wollte oder auch einfach nicht zugeben. Und umgekehrt, es ist was positives Neues in seinem Leben, weswegen er strahlt. Er hätte nur nicht gedacht, daß man es ihm einen Kilometer gegen den Wind anmerkt.

Aber der Körper verrät es, die Ausstrahlung, die ganze Art seines Auftretens und seiner Präsenz.

In der Psychotherapie ist das nicht anders. Der Mensch will kein offenes Buch sein. Nicht einmal sich selbst gegenüber. Sobald etwas offengemacht ist, muß man sich damit befassen. Und es gibt genug, was einem so schwierig oder lästig oder regelrecht unlösbar vorkommt, daß man es hinausschiebt, so lange es geht.

Auf der – eigentlich und theoretisch – positiven Seite verhält es sich ebenso. Wenn etwas hinter einem liegt oder sich von selbst gelöst oder sich als gar kein wirkliches Problem entpuppt hat, bedeutet das, man müßte anschließend alles fahren lassen, was man daran geknüpft hat. Das sind in der Regel Entschuldigungen und Ausreden für Dinge, vor denen man sich scheut oder fürchtet. Solange das Problem existiert, sagt man sich, ich wollte ja, aber ich kann nicht, das Problem macht es mir unmöglich. Ohne Problem? – O mein Gott, jetzt müßte ich das Wagnis eingehen, jetzt müßte ich riskieren, daß ich scheitere oder draufkomme, ich hab‘ mich geirrt oder daß ich enttäuscht werde.

Das Prinzip, dem man folgt, ist, „Lieber die wohlvertraute Einschränkung als die riskante Freiheit!“

Die Unfreiheit gibt Halt und Sicherheit und Selbstvertrauen. Man weiß aus langer Erfahrung, daß man damit zurecht kommt, wenn man sich auch was Schöneres vorstellen könnte. Sogar – weil man sich was Schöneres vorstellen kann. In der Unverbindlichkeit der Phantasie, die sich sowieso nicht verwirklichen läßt, schwelgt man gerne. Die Freude, die Süße, die Schönheit, solange man davon träumt. Und jederzeit wieder hervorzuholen, wenn man eine Erholung vom alltäglichen Frust braucht. Was gibt es Praktischeres!

Ginge man es real an, die schönen Träume zu verwirklichen, wären die Enttäuschungen und die Mühen und Plagen unvermeidlich, bis es soweit ist, daß man hat, wovon man träumte. Und dann? So schnell schaut man gar nicht und man hat sich daran gewöhnt, es ist Normalität geworden, nichts Besonderes mehr. Zwar gut, daß es so ist, aber es begeistert einen nicht mehr. Dann braucht man den nächsten Traum.

Es herrscht kein Mangel an Zitaten nach dem Motto, „Nichts ist ernüchternder als ein Traum, der wahr wird“.

Daher halten wir uns zeitlebens Träume, Wunschträume und Sehnsüchte aufrecht. Weil sie der Trost sind und die Inspiration, der Zukunft mit Optimismus und Einsatz entgegenzuleben. Je jünger wir sind, desto selbstverständlicher. Je älter, desto schwieriger.

Im Alter funktioniert die Methode der schönen Zukunftshoffnungen nicht mehr. Wir werden depressiv oder schalten uns weg, schalten uns mehr oder weniger ab und aus, jedenfalls aus der Gegenwart, die immer die Schwelle zur Zukunft ist, und orientieren uns in die Vergangenheit. Was eine neue Möglichkeit des Träumens und Sehnens ergibt. Unerreichbar ist unerreichbar, ob es zeitlich vor oder hinter uns liegt, macht keinen Unterschied.

Utopie und Nostalgie sind nur auf der Zeitachse verschieden, nicht in der Bedeutung für die Gegenwart.

Wann ist also Therapie erfolgreich? Wenn man seine vor sich selbst oder anderen behaupteten Ziele erreicht hat? Wenn man auf dem besten Weg dazu ist? Wenn man am Anfang des Wegs ist? Wenn man es sich gut vorstellen kann und es sich zutraut, den Weg zur Verwirklichung anzugehen?

Oder simpel dann, wenn man sich überhaupt Ziele setzt? Mit mehr oder weniger Traumcharakter? Mit mehr oder weniger heftiger Sehnsucht danach?

„Wünsche, Träume, Sehnsüchte“, diese klischeehafte Formel, wird sie verwendet, wenn man sie hat und damit zufrieden ist? Weil man sie sich zu haben getraut? Weil man der Anforderung aus den Illustrierten entspricht, welche aufweisen zu können?

Oder geht es doch eher um Ziele? Wobei der Unterschied der ist, daß sie, realistisch gesehen, erreichbar sind.

Es kommt drauf an. Der eine ist zufrieden, träumen zu können, guten Gewissens seinen Phantasien nachzuhängen; der andere braucht erreichbare Ziele und den Glauben, das Zeug dazu zu haben, daß er an sie kommen wird.

Andere machen eine Runde durch ihre Lebenswelt und ihr Denkuniversum und geraten zur Ansicht, es ist gut genug so, wie es ist. Inklusive der Enttäuschungen, der Mühen, der Frustrationen, des Auf und Abs. Auch wenn es bei weitem nicht gut genug ist oder gar ideal, ist es gut genug, danach zu streben, daß es so gut ist, wie es jeweils geht.

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