Zum Begriff Einsichtspsychologie
Der Terminus Einsichtspsychologie legt eine Reihe von Bedeutungen nahe, die zu berücksichten sind.
Begriffsbestimmung
Psychologie der Einsicht als spezifischer Prozeß des Erkennens ist eine der intendierten Bedeutungen. Psychologie aus der Einsicht als eben einer spezifischen Weise des Erkennens wäre die zweite Grundbedeutung, die beabsichtigt ist. Eine dritte intendierte Bedeutung ist Psychologie der Einsicht als Ergebnis eines spezifischen Erkenntnisvorgangs.
Einsichtspsychologie ist demnach charakterisiert durch die Methode des Erkenntnisgewinns, die Qualität der Erkenntnisse und deren daraus sich entfaltende Einsichten beziehungsweise Sichtweisen und Ansichten (oder Sichten) auf psychische Phänomene.
Einsicht ist bestimmt als unmittelbares Erkennen, die Erkenntnis ist charakterisiert durch Evidenz, Unvorhergesehenheit, Unvorhersehbarkeit und Neuartigkeit in ihren Dimensionen der Tiefe, Weite, Wesentlichkeit und Schlüssigkeit.
Das Erkennen hat die Eigenheit des Sehens, was mit einem Mal offensichtlich ist, zugleich des Staunens, daß es sich so verhält und des sich Wunderns, daß man es nicht schon früher gesehen hat. Ungläubig schüttelt man den Kopf: „So alt mußte ich werden, um das zu zu erkennen?“
Bedingungen von Einsicht
Was zur Einsicht führt, unmittelbar, ist die Haltung des unvoreingenommenen Schauens, die vorurteilslose und jenseits der des Erkennenwollens absichtslose Betrachtung, wie sie mit dem Begriff der Kontemplation verbunden ist.
Wenn Einsicht über ihr gelegentliches sich Einstellen hinaus zum Normalfall als Ergebnis des Verstehensversuchs wird oder werden soll, ist das die Folge mittelbarer Umstände von größerer Breite, als es für den hie und da als Glücksfall oder Zufall erlebten Moment notwendig ist.
Die Not des Leidens, die Krise, das Unerträgliche lösen sich durchaus und gottseidank immer wieder einmal anhand entscheidender Einsichten in das bisher als unlösbar Vermeinte auf und eröffnen Auswege und neue Orientierungen.
Aber für darüber hinaus gehende, und wenn auch jedesmal wieder als Glück empfundene so doch nicht als Zufall anzusehende, Entwicklungen von Einsicht zu Einsicht über längere Zeit gibt es mittelbar ein Insgesamt von Voraussetzungen und Bedingungen, die letztlich den existentiellen Lebensentwurf betreffen; nämlich einen, in dem Einsicht, Erkennen und Verstehen des Menschlichen als solchen, des Menschseins in der Welt, des Daseins in seinem zu begreifenden Sinn, in seinen Aufgaben und Berufungen, vom eigenen persönlichen zum allgemeinen einen zentralen oder vielmehr den primären Stellenwert unter den Aspirationen zugeordnet haben.
Der Wille zur Einsicht
Einsicht ist an den Willen zu ihr geknüpft, läßt sich feststellen. Wobei zu berücksichtigen ist, daß dieser wie alle seelischen Phänomene und Akte des Selbst als Subjekt sowohl auf bewußter als auch auf unbewußter Ebene seine Bühne haben kann. Das ist eine Frage der psychischen Ökonomie beziehungsweise der Offenheit des bewußten Denkens für widersprüchliche und dissonante Motive.
Was wir nicht wissen wollen, fällt uns nicht ein. Was wir nicht sehen wollen, fällt uns nicht auf. Auch dann dann nicht, wenn wir es auf der anderen Seite unbedingt wissen oder sehen möchten und uns abmühen oder sogar abquälen, das Unverstandene zu verstehen.
Wir sind umsichtig und verantwortungsvoll genug, uns nicht in Konflikte zu bringen, mit denen wir ohnehin nicht zurechtkämen. Wenn es Zeit ist, weil wir reif dafür sind, fällt uns ein und auf und fällt es uns wie Schuppen von den Augen, „Mein Gott, natürlich, so ist das! Das ist es. Das war’s. Schon die ganze Zeit.“
Einordnung des Begriffs der Einsichtspsychologie
Einsichtspsychologie kann als kategorialer Begriff verstanden werden, der sich auf die verschiedenen Ansätze, Richtungen, Schulen und Methoden der in der Psychotherapie (und Beratung, wie in der Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung, wie auch in Supervision und Coaching) als humanistisch, existentiell und phänomenologisch-hermeneutisch bezeichneten angewandten Psychologie erstreckt. Durchaus einschließlich dazu auch auf die Psychoanalyse und Tiefenpsychologie und die verschiedenen Schulen der psychodynamischen Psychotherapie.
In weiterer Überlegung trifft die Kategorisierung Einsichtspsychologie auch zu auf die Kognitive Verhaltenstherapie oder Kognitive Therapie, insbesondere, seit sie das Prinzip und die Methodik der sogenannten Achtsamkeit (ein Begriff aus der buddhistischen Psychologie und speziell aus der Vipassana-Meditation, englisch ursprünglich wakefulness, dem späteren Zeitgeschmack entsprechend mindfulness genannt) für sich aquiriert hat und als Achtsamkeitsbasierte Kognitive Verhaltenstherapie (Mindfulness Based Cognitive Behavior Therapy) auftritt.
Einsichtspsychologie als spezifischer Begriff
Einsichtspsychologie als spezifischer Terminus, der zwar in die kategoriale Bedeutung fällt, aber konkreter gemeint ist als Weiterentwicklung dessen, was in der existentiellen und humanistischen psychotherapeutischen Psychologie zum Bestand gehört, ist das Verständnis, von dem hier die Rede sein soll.
Der Modus der Einsicht aus der Betrachtung hat es an sich – und die Gemeinplätzigkeit der Aussagen ist unvermeidbar – daß er zu fortwährender Vertiefung, Erweiterung, Präzisierung und sowohl zu Entfaltung von Komplexität als auch zu deren Reduktion auf das jeweils Wesentliche führt. Der Erkenntnis ist kein Ende, es gibt nur Niveaus, die immer wieder den Charakter eines Plateaus zeigen, bevor der Aufstieg weitergeht.
Es liegt nicht an den Dingen und nicht am Erkenntnisvorgang sondern an der Haltung des Erkennenden, der sich – eigentlich und wesentlich – als einen erlebt, dem Erkenntnis zuteil wird im Kontrast zu einem, der Erkenntnis herstellt, erwirbt oder provoziert, ob er zu einem Zeitpunkt den Eindruck hat, genug erkannt zu haben oder das Wesentliche eines Phänomens erfaßt zu haben.
Was sich nun in der psychotherapeutischen Psychologie beobachten läßt, insofern sie auf Einsicht aus Kontemplation, auf Gewahrsein des Erlebens orientiert ist, ist eine Spaltung zwischen der Methode der Selbstexploration und empathischen Introspektion einerseits und der der Exploration und empathischen Extrospektion andererseits gegenüber der Theorie. Sowohl die Theorien des psychischen Geschehens als Intraaktion und Intrarelation bis hin zu der subsumierenden Fassung als Charakterstruktur und Persönlichkeit als auch die zum therapeutischen Prozeß der Intervention in der Interaktion und Interrelation neigen zur Abkehr von der Einsicht als Methode.
Was dem Klienten wie sich selbst in der Selbsterkenntnis zugemutet wird, das wird in der psychologischen Konzeptualisierung nicht durchgehalten. In zweierlei Hinsicht: erstens bezüglich der Vorurteilslosigkeit, der strategischen Unwissenheit und Ahnungslosigkeit, zweitens bezüglich der prozessualen Entfaltung des Erkenntnisprozesses.
Ein neuer psychotherapeutischer psychologischer Ansatz beginnt zwar aus der – eben – neuen Einsicht, der man sich nicht entzieht, aber kurz danach, nach einer Phase des Überprüfens der praktischen Brauchbarkeit, werden sowohl die interventionsbezogenen als auch die auf das Verständnis der psychischen Prozesse gerichteten neuen Sichten zu Modellen ausgestaltet, die nicht weiter als selbstverständlich tentative behandelt, sondern einer Fixierung unterzogen werden.
Wobei noch hinzukommt, daß man zu beliebigen persönlich präferierten Metaphern greift, die von vornherein nicht in der Beobachtung und den sich zeigenden Strukturen gegründet sind, sondern ihnen willkürlich aufgesetzt und um sie herumgerahmt werden.
Die Motive dafür sind allesamt aus der Sphäre der Pragmatik hinsichtlich der sozialen Akzeptanz, die an kulturelle Normative der Ideologie geknüpft erwiesen oder vorenthalten wird, von der allgemeinen gesellschaftlichen bis zur fachspezifischen intellektuellen und ethischen Mode der Zeit.
Der Konflikt zwischen einer am Phänomen ausgerichteten Hermeneutik und einer dem – mehr oder weniger vom Beobachter geteilten – Zeitgeist akzeptablen ist nicht umgehbar in der Psychologie, wenn sie als für die Allgemeinheit anwendbare zu vertreten ist.
Darüber hinaus ist die Verfestigung und zumindest mittelfristige Beständigkeit der Konzepte eine derart feste Erwartung der Rezipienten, daß die Inkongruenz zwischen der Erkenntnismethode und der Entfaltung der Erkenntnis auf der einen und der Vermittlungsmethode auf der anderen Seite regelhaft folgt.
In der Steigerung wirkt der ihm entgegengebrachte Anspruch auf eine substanzielle Finalität und Beständigkeit der Erklärung zurück auf den Beobachter, der versucht ist, von der Kontemplation zur Pseudokontemplation überzugehen, das heißt, seinen eigenen bisherigen Konzepten gemäß selektiv zu schauen statt sich der immer wieder unbedarften offenen Schau zu bedienen.
Im Insgesamt kommt es dann zur Etablierung von Paradigmen, Schulen und Richtungen und Abspaltungen von neuen Schulen und Richtungen, wie es für die verschiedensten Wissenschaften üblich ist. Und Paradigmenwechsel sind an die Ablöse einer Generation durch die nächste gebunden.
Die permanente Vorläufigkeit alles Erkennens und Verstehens gilt selbstredend für alle Phänomene und alle Erklärung ist damit dem gleichen Schicksal unterworfen, sie gilt nur bis dato.
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Wissenschaftshistorische Beispiele dazu wie die noch am Anfang des 20. Jahrhunderts herrschende Auffassung, in der Physik werde und könne es nichts bedeutsam Neues mehr geben, die Naturgesetze seien bekannt und begriffen, darüber hinaus stünde nur noch unwesentliche Vervollständigung, Verfeinerung und Präzisierung an, illustrieren das, wenn auch auf allgemeinerer Ebene. Kurz darauf präsentierte Einstein die spezielle Relativitätstheorie, Max Plank erhielt den Nobelpreis für die Quantentheorie und die Wissensgewißheit aus dem 19. Jahrhundert hatte sich als Illusion herausgestellt. http://kworkquark.desy.de/kennenlernen/artikel.quantenphysik-1/1/2/
Wenn der Philosoph Sloterdyk meint, es gäbe keinen Zorn mehr, der emanzipatorisch wirksam werden könnte und sollte, handelt es sich um das gleiche Phänomen der kurzsichtigen Arroganz, nicht lang zuvor war die Rede vom Ende der Geschichte en vogue und das Ende der Wissenschaft wird ebenfalls akademisch beschworen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ende_der_Geschichte
http://www.wesjones.com/eoh.htm
http://www.uni-kiel.de/science-congress/index.php?page=pr-fanu&lang=en
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Wobei die historische Beobachtung von Interesse ist, daß es die Gestalttherapie und Sensory Awareness und die Personal Growth – Bewegung in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren, die unter dem Begriff awareness das Gleiche als integralen Bestandteil ihrer Methodik praktiziert hatten und von der Seite der akademischen Psychologie als unwissenschaftlich und seitens des Staates gar der esoterischen Scharlatanerie verdächtigt wurden.